Borstenwürmer (Polychaeta), Familienschlüssel (Rainer Borcherding, DJN)

Aus Offene Naturführer BiolFlor
Wechseln zu: Navigation, Suche
Hinweis: Dieser Schlüssel ist mit dem Autornamen gekennzeichnet und die Mitarbeit ist auf Rainer Borcherding beschränkt. Auf der Diskussionseite sind Kritik und Verbesserungsvorschläge jedoch sehr willkommen!
Zitiervorschlag: Rainer Borcherding (1992). Borstenwürmer (Polychaeta), Familienschlüssel. Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung. Originalpublikation (mit zahlreichen Zeichnungen): Rainer Borcherding (1992): Borstenwurmbestimmungsschlüsselgedicht. - Naturkundliche Beiträge des DJN (25): pp. 27-34. Online-Version unter: http:/​/​offene-naturfuehrer.​de/​web/​Borstenwürmer_​(Polychaeta),_​Familienschlüssel_​(Rainer_​Borcherding,_​DJN).
Dieser Beitrag stammt vom Deutschen Jugendbund für Naturbeobachtung (DJN), siehe naturbeobachtung.de!.
Logo des DJN (Link zur Homepage des DJN)


Triffst du einen Wurm mit echtem Coelom
und einem Körper geteilt in Ringe
benutz' diesen Schlüssel, der dichotom,
und kläre die folgenden Dinge:


Borstenwurmfamilienbestimmungsschlüssel (Polychaeta)
Von: Rainer Borcherding
Geographischer Geltungsbereich: Deutschland — Mitarbeit begrenzt auf: Rainer Borcherding & DJN — Stand: Fertig
1a
Dick, plump und gehüllt in ein stacheliges Fell,
ist einzig die Seemaus, mensch kennt sie sehr schnell 
  Aphroditidae
1b
Statt Pelz sind Borsten, Fäden, Schuppen am Tier?
Nimm Nummer 2, das rat ich dir! 
  ► 2
2a
Bei Schuppenwürmern wird stets glücken,
zu sehen die Schuppen auf ihrem Rücken. 
  Polynoidae
2b
Keine Schuppen? Einerlei!
Weiter geht’s bei Ziffer drei. 
  ► 3
3a
Wenn gefiederte Tentakeln das Antlitz bedecken,
sollte man ihn unter Viertens entdecken 
  ► 4
3b
Keine Fiedertentakeln? Das ist dumm,
Suchen wir mal weiter rum! 
  ► 5
4a
Eine kalkige Röhre, die sehr stabil,
schützt den Wurm – wir sind am Ziel. 
  Serpulidae
4b
Die Röhre ist sandig oder weich?
Auch dann sind wir am Ziel sogleich. 
  Sabellidae
5a
Der Schwanz ist nackt und baumelt rum,
am Kopf ist das Operculum:
Ein Deckel zum Schließen der Sandwohnröhren,
die die Fischer mit ihren Netzen zerstören. 
  Sabellariidae
5b
Alle abfolgenden Arten augenscheinlich andersartig aussehend.   ► 6
6a
ein Köcher aus Sand, gebaut mit viel Fleiß,
sieht aus wie ein Joint – äh, 'ne Waffel aus Eis. 
  Petinariidae
6b
Kein Köcherwurm? Nun, dann wird’s hart.
Uns bleibt heut' auch nichts erspart! 
  ► 7
7a
Das Tierchen trägt an seinem Kopf
aus langen Tentakeln einen Schopf 
  ► 8
7b
Nur Hörner, Fühler, Borsten oder Glatze?
Ziffer Neun ist dann am Platze! 
  ► 9
8a
Die Tentakeln, die nur am ersten Segment,
sind ums Bäumchen gewickelt und fischen behend'. 
  Terebellidae
8b
Tentakelfäden auch am Körper entlang?
Tharyx kann leuchten in seinem Gang! 
  Cirratulidae
9a
Nie deutliche Fransen an Prostomium oder Kopf;
Ziffer 10, du armer Tropf!
Manch eine/r wird dies' Merkmal verfluchen,
doch war's mir nicht möglich, ein bess'res zu suchen. 
  ► 10
9b
Kopfanhänge kann mensch gut seh'n?
Weiter geht’s bei sieben-zehn. 
  ► 17
10a
Segmente lang und Knoten dick?
Ein „Bambus-Wurm“ ist's, welch ein Glück! 
  Maldanidae Oweniidae
10b
Falls diese Merkmale nicht zutreffend sind
Geh'n wir im Schlüssel weiter geschwind. 
  ► 11
11a
Ein dickes Vieh, schwarzgrün bis braun,
es tut im Watt die Häufchen bau'n.
Jungtiere, welche oft hellfarbig sind,
verrät der borst-freie Schwanz geschwind. 
  Arenicolidae
11b
Der Wurm ist hell gefärbt bis mittel?
Nicht leicht wird’s nun im letzten Drittel. 
  ► 12
12a
Fortsätze sind am Tier kaum zu erkennen,
und der Körper ist dünn und lang;
eine schillernde Haut tut er sein eigen nennen.
Tief darunter im Schlick ist sein Gang. 
  Lumbrineridae
12b
Obiger Vierzeiler trifft nicht zu?
Weiter ohne Rast und Ruh! 
  ► 13
13a
Sekundäre Ringelung hat das Tier,
dies vervielfacht die Ringzahl ×3 bis ×4. 
  ► 14
13b
Sieht man je Ring ein Borstenbusch-Paar
ist die Bestimmung noch nicht so ganz klar 
  ► 15
14a
Ein langerWurm mit spitzem Kopf:
Glycera, so heißt der Tropf 
  Glyceridae
14b
Kurz und plump mit hohlem Bauch
('nen spitzen Kopf hat dieser auch) 
  Opheliidae
15a
Flach, fest und glänzend mit gestutztem Haupt,
durch Kalk im Gewebe stark, dass man es kaum glaubt. 
  Nephthyidae
15b
Nicht quirlig und kräftig, eher lang und dünn?
Bei 16 kommen wir langsam hin. 
  ► 16
16a
Keine Füßchen – ferner ist das rote Tier
vorne rundlich oder hat der Kanten vier. 
  Capitellidae
16b
Gebogene Kiemen hinten am Rücken,
Borsten die Kiemen recht kräftig bestücken. 
  Orbiniidae
17a
In partes tres omnia animal divisa est,
dies trennt ihn ab vom ganzen Rest. 
  Chaetopteridae
17b
Ein Mittelteil ist nicht zu sehen
bei allen, die nachfolgend stehen. 
  ► 18
18a
Hinten 12 Paar Haken, vorn zwei Dutzend Füße,
Vorderkörper meist verdickt – sag' ihm schöne Grüße. 
  Ampharetiae
18b
Sehr viel öfter wird man seh'n,
die, die unter 19 steh'n. 
  ► 19
19a
Zwei Hörner wie ein Ziegenbock,
nur fall'n sie manchmal ab im Schock. 
  ► 20
19b
Keine Hörner (oder Narben),
aber manchmal bunter Farben. 
  ► 21
20a
Vier Augen, Körper einheitlich
(Agenten sind sie sicher nich). 
  Spionidae
20b
Kurzsteckbrief der Magelone:
Kopf: geplättet; Augen: ohne. 
  Magelonidae
21a
Kaliber 3 mm und mehr –
sie sind zwar schlank, doch nicht zu sehr. 
  ► 22
21b
Ein Millimeter und mehr nich –
so dünn ist fast schon kümmerlich
(wobei stets zu bedenken ist,
ob's nicht ein Jungtier, das man misst!). 
  ► 24
22a
Am Kopf sind Palpen, die geteilt:
der Wurm beißt oft, eh' er enteilt. 
  Nereidae
22b
Die Palpen sind nie zweigliedrich
die Kiefer nicht so fürchterlich. 
  ► 23
23a
Sieben Tentakeln vorne am Kopf –
obwohl es so viele sind niemals als Zopf! 
  Onuphidae
23b
Fünf Tentakeln sind schneller zu zählen,
nun braucht man das Würmchen nicht weiter zu quälen. 
  Eunicidae
24a
Eine Antenne ragt geradeaus,
der Kopf sieht etwas komisch aus. 
  Paraniodae, Aricidae
24b
Kein Einhorn aus dem Märchenwald?
Jetzt kommt die Lösung aber bald! 
  ► 25
25a
An jedem Fuß sind Paddel-Cirren
gut zu seh'n, mensch kann kaum irren. 
  Phyllodocidae
25b
Die Cirren sind schlank, oft geringelt, nie platt?
Gut, dass dies' Drama nun ein Ende hat! 
  Syllidae

Kein passender Name gefunden am Schluss?
Das heißt wohl, dass es ne Entdeckung sein muss!
Wenn Du es nun schnell veröffentlichst
denk daran, dass Du später vielleicht zu Dir sprichst:

Si tacuisses
philosophus mansisses

Also versuch' es lieber gleich noch mal von vorn!



Epitokstadium von Nereis succinea

Was wäre das Watt ohne die Würmer, die mit ihrer Verdauung die Landschaft prägen und unter Aufopferung ihres Lebens Millionen von Vögeln und Fischen anlocken? Eben.

Mit etwa 60 Arten und unermesslichen Individuenzahlen ist die Ordnung der Borstenwürmer (Polychaeten) eine der bedeutendsten Tiergruppen im Wattenmeer.

Leider ist die Bestimmung dieser Tierchen aber sehr aufwändig, da als Merkmale die Borsten und Scheinfüßchen (Parapodien) heranzuziehen sind. Dies erfordert fast immer das Töten der Tiere und die Anfertigung mikroskopischer Präparate. Um trotzdem einen kleinen Einblick in diese interessante Tiergruppe zu ermöglichen, werden in diesem Schlüssel nur Merkmale benutzt, die auch am kompletten Wurm erkennbar sind ( 20-40-fache Vergrößerung erforderlich!). Selbst die Ansprache der Familien ist aber auf diese Weise gelegentlich unsicher, und der Schlüssel gilt auch nur für die südliche Nordsee und die westliche Ostsee.

Wer sich ernsthaft mit Polychaeten beschäftigen möchte greife auf das hervorragende Buch von Frau Hartmann-Schröder zurück.

Zu diesem Schlüssel:

  • Das Coleom wäre unmöglich in den Innereien zu finden, wird hier aber der zoologischen Vollständigkeit halber und des Reimes wegen genannt.
  • Würmer mit Borsten und Körperanhängen sind bei uns fast immer Polychaeten.
  • Beschädigungen der Würmer können zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung führen. Spionidae (19/20) werfen bei Stress oft ihre Hörner ab und sind dann schwer erkennbar. Auch Schwanzenden reißen leicht ab, was z.B. bei Sabellaria (5) und bei Wattwurm (11) Unklarheiten verursachen kann. Ermordete Schuppenwürmer (2) verlieren oft ihre Elytren (Rückenschuppen).
  • Kopfanhänge (9) sind bei Opalwurm (15) und Glyceridae (14) bei genauerer Betrachtung durchaus zu finden, sie sind aber nicht deutlich.
  • Die Dicke (21) ist natürlich ein sehr windiges Merkmal wenn mensch an Jungtiere denkt, aber gerade die sehr häufige Gattung Anaitides (Phyllodoce) fällt schon im Freiland durch ihre extreme Schlankheit auf. Zur Absicherung betrachte mensch die Körperanhänge.
  • Zu guter Letzt sei der oft gewaltige ausstülpbare Rüssel genannt, der die Kopfform bei flüchtiger Betrachtung bei Alkoholleichen z.T. Stark verändert erscheinen lässt. Ausgestülpt gezeichnet ist er hier bei Glyceridae (14), Nephthyidae (15), Magelona (20) und Nereis (22).
  • Zu finden sind Borstenwürmer im Freiland am einfachsten durch Ausspülen von Bodenproben in einem Sieb mit 0,5 mm Maschenweite. Auch unter Muschelbänken und Steinen sind manche Arten anzutreffen.

Abschließend eine Auswahl der (im Wattenmeer) häufiger anzutreffenden Arten, die allein mit der Grabforke (ohne Sieb) zu finden sind:

2a Schuppenwürmer (Polynoidae)an Muschelbänken
4a Dreikantwurm (Pomatoceros)auf Treibgut
6a Köcherwurm (Pectiaria)Röhren am Strand angespült
11a Watt-/Pierwurm (Arenicola)landschaftsprägend
15a Opalwurm (Nephthys)des Öfteren einzeln im Wattboden
16a+b „Gummibandwürmer“ (Scoloplos, Heteromastus)zahlreich im Boden, rot und dehnbar
19a Pygospioin dünnen Sandröhren, die mitunter massenweise frei- oder angespült werden
22a Wattringelwurm (Nereis diversicolor)häufig; dunkler Rückenstrich
Meerringelwurm (N. virens)im April massenhaft angespült; wir bis 80 cm lang(!!), grün und bissig
25a Aaswurm (Anaitides)sehr häufig, besonders an Aas; oberflächlich kriechend des Öfteren anzutreffen


Tomopteris
„Gestatten: Tomopteris,
ich bin Freischwimmer.
Der Sand wär mir Hindernis,
ich schwimme immer.
Da ich im Schlüssel nicht genannt
obwohl ich mit dem Rest verwandt
darf ich das letzte Wort hier sagen:
Bestimmt mal schön, und
nie verzagen!
Tschüüss!“


Literatur

Anonymus: „A Polychaete primer“. Undatierte Kopien aus der Separatensammlung von Karsten Reise, List/Sylt

Hartmann-Schröder, G. (1917): Die Tierwelt Deutschlands, 58. Teil: Annelida, Borstenwürmer-Polychaeta. VEB Gustav Fischer Verlag Jena.

Fauchwald, K. (1977): The Polychaete Worms, Science Series 28, Natural History Museum of Los Angeles County.