Borstenwürmer (Polychaeta), Familienschlüssel (Rainer Borcherding, DJN)
Borstenwurmfamilienbestimmungsschlüssel
Rainer Borcherding, Hamburg, 1992 Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung Naturkundliche Beiträge des DJN, Nummer ??, 1992
Triffst du einen Wurm mit echtem Coelom und einem Körper geteilt in Ringe benutz' diesen Schlüssel, der dichotom, und kläre die folgenden Dinge:
1 a Dick, plump und gehüllt in ein stacheliges Fell, ist einzig die Seemaus, mensch kennt sie sehr schnell (APHRODITIDAE) 1 b Statt Pelz sind Borsten, Fäden, Schuppen am Tier? Nimm Nummer 2, das rat ich dir! 2
2 a Bei Schuppenwürmern wird stets glücken, zu sehen die Schuppen auf ihrem Rücken. (POLYNOIDAE) 2 b Keine Schuppen? Einerlei! Weiter geht’s bei Ziffer drei. 3
3 a Wenn gefiederte Tentakeln das Antlitz bedecken, sollte man ihn unter Viertens entdecken 4 3 b Keine Fiedertentakeln? Das ist dumm, Suchen wir mal weiter rum! 5
4 a Eine kalkige Röhre, die sehr stabil, schützt den Wurm – wir sind am Ziel. (SERPULIDAE) 4 b Die Röhre ist sandig oder weich? Auch dann sind wir am Ziel sogleich. (SABELLIDAE)
5 a Der Schwanz ist nackt und baumelt rum, am Kopf ist das Operculum: Ein Deckel zum Schließen der Sandwohnröhren, die die Fischer mit ihren Netzen zerstören. (SABELLARIIDAE) 5 b Alle abfolgenden Arten augenscheinlich andersartig aussehend. 6
6 a ein Köcher aus Sand, gebaut mit viel Fleiß, sieht aus wie ein Joint – äh, 'ne Waffel aus Eis. (PETINARIIDAE) 6 b Kein Köcherwurm? Nun, dann wird’s hart. Uns bleibt heut' auch nichts erspart! 7
7 a Das Tierchen trägt an seinem Kopf aus langen Tentakeln einen Schopf 8 7 b Nur Hörner, Fühler, Borsten oder Glatze? Ziffer Neun ist dann am Platze! 9
8 a Die Tentakeln, die nur am ersten Segment, sind um's Bäumchen gewickelt und fischen behend'. (TEREBELLIDAE) 8 b Tentakelfäden auch am Körper entlang? Tharyx kann leuchten in seinem Gang! (CIRRATULIDAE)
9 a Nie deutliche Fransen an Prostomium oder Kopf; Ziffer 10, du armer Tropf! Manch eine/r wird dies' Merkmal verfluchen, doch war's mir nicht möglich, ein bess'res zu suchen. 10 9 b Kopfanhänge kann mensch gut seh'n? Weiter geht’s bei sieben-zehn. 17
10 a Segmente lang und Knoten dick? Ein „Bambus-Wurm“ ist's, welch ein Glück! (MALDANIDAE OWENIIDAE) 10 b Falls diese Merkmale nicht zutreffend sind Geh'n wir im Schlüssel weiter geschwind. 11
11 a Ein dickes Vieh, schwarzgrün bis braun, es tut im Watt die Häufchen bau'n. Jungtiere, welche oft hellfarbig sind, verrät der borst-freie Schwanz geschwind. (ARENICOLIDAE) 11 b Der Wurm ist hell gefärbt bis mittel? Nicht leicht wird’s nun im letzten Drittel. 12
12 a Fortsätze sind am Tier kaum zu erkennen, und der Körper ist dünn und lang; eine schillernde Haut tut er sein eigen nennen. Tief darunterim Schlick ist sein Gang. (LUMBRINERIDAE) 12 b Obiger Vierzeiler trifft nicht zu? Weiter ohne Rast und Ruh! 13
13 a Sekundäre Ringelung hat das Tier, dies vervielfacht die Ringzahl x3 bis x4. 14 13 b Sieht man je Ring ein Borstenbusch-Paar ist die Bestimmung noch nicht so ganz klar 15
14 a Ein langerWurm mit spitzem Kopf: Glycera, so heißt der Tropf (GLYCERIDAE) 14 b Kurz und plump mit hohlem Bauch ('nen spitzen Kopf hat dieser auch) (OPHELIIDAE)
15 a Flach, fest und glänzend mit gestutzem Haupt, durch Kalk im Gewebe stark, daß man es kaum glaubt. (NEPHTHYIDAE) 15 b Nicht quirlig und kräftig, eher lang und dünn? Bei 16 kommen wir langsam hin. 16
16 a Keine Füßchen – ferner ist das rote Tier vorne rundlich oder hat der Kanten vier. (CAPITELLIDAE) 16 b Gebogene Kiemen hinten am Rücken, Borsten die Kiemen recht kräftig bestücken. (ORBINIIDAE)
17 a In partes tres omnia animal divisa est, dies trennt ihn ab vom ganzen Rest. (CHAETOPTERIDAE) 17 b Ein Mittelteil ist nicht zu sehen bei allen, die nachfolgend stehen. 18
18 a Hinten 12 Paar Haken, vorn zwei dutzend Füße, Vorderkörper meist verdickt – sag' ihm schöne Grüße. (AMPHARETIAE) 18 b Sehr viel öfter wird man sehn, die, die unter 19 steh'n. 19
19 a Zwei Hörner wie ein Ziegenbock, nur fall'n sie manchmal ab im Schock. 20 19 b Keine Hörner (oder Narben), aber manchmal bunter Farben. 21
20 a Vier Augen, Körper einheitlich (Agenten sind sie sicher nich). (SPIONIDAE) 20 b Kurzsteckbrief der Magelone: Kopf: geplättet; Augen: ohne. (MAGELONIDAE)
21 a Kaliber 3 mm und mehr - sie sind zwar schlank, doch nicht zu sehr. 22 21 b Ein Milimeter und mehr nich - so dünn ist fast schon kümmerlich (wobei stets zu bedenken ist, ob's nicht ein Jungtier, das man mißt!). 24
22 a Am Kopf sind Palpen, die geteilt: der Wurm beißt oft, eh' er enteilt. (NEREIDAE) 22 b Die Palpen sind nie zweigliedrich die Kiefer nicht so fürchterlich. 23
23 a Sieben Tentakeln vorne am Kopf - obwohl es so viele sind niemals als Zopf! (ONUPHIDAE) 23 b Fünf Tentaklen sind schneller zu zählen, nun braucht man das Würmchen nicht weiter zu quälen. (EUNICIDAE)
24 a Eine Antenne ragt geradeaus, der Kopf sieht etwas komisch aus. (PARANIODAE Aricidae) 24 b Kein Einhorn aus dem Märchenwald? Jetzt kommt die Lösung aber bald! 25
25 a An jedem Fuß sind Paddel-Cirren gut zu seh'n, mensch kann kaum irren. (PHYLLODOCIDAE) 25 b Die Cirren sind schlank, oft geringelt, nie platt? Gut, daß dies' Drama nun ein Ende hat! (SYLLIDAE)
Kein passender Name gefunden am Schluß?
Das heißt wohl, daß es ne Entdeckung sein muss!
Wenn Du es nun schnell veröffentlichst
denk daran, daß Du später vielleicht zu Dir sprichst:
Si tacuisses philosophus mansissens
Also versuch' es lieber gleich noch mal von vorn!
Was wäre das Watt ohne die Würmer, die mit ihrer Verdauung die Landschaft prägen und unter Aufopferung ihres Lebens Millionen von Vögeln und Fischen anlocken? Eben. Mit etwa 60 Arten und unermeßlichen Individuenzahlen ist die Ordnung der Borstenwürmer (Polychaeten) eine der bedeutensten Tiergruppen im Wattenmeer. Leider ist die Bestimmung dieser Tierchen aber sehr aufwändig, da als Merkmale die Borsten und Scheinfüßchen (Parapodien) heranzuziehen sind. Dies erfordert fast immer das Töten der Tiere und die Anfertigung mikroskopischer Präperate. Um trotzdem einen kleinen Einblick in diese interessante Tiergruppe zu ermöglichen, werden in diesem Schlüssel nur Merkmale benutzt, die auch am kompletten Wurm erkennbar sind ( 20-40-fache Vergrößerung erforderlich!). Selbst die Ansprache der Familien ist aber auf diese Weise gelegentlich unsicher, und der Schlüssel gilt auch nur für die südliche Nordsee und die westliche Ostsee. Wer sich ernsthaft mit Polychaeten bschäftigen möchte greife auf das hervorragende Buch von Frau HARTMANN-SCHRÖDER zurück.
Zu diesem Schlüssel: Das Coleom wäre unmöglich in den Innereien zu finden, wird hier aber der zoologischen Vollständigheit halber und des Reimes wegen genannt. Würmer mit Borsten und Körperanhängen sind bei uns fast immer Polychaeten. Beschädigungen der Würmer können zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung führen. Spionidae (19/20) werfen bei Stress oft ihre Hörner ab und sind dann schwer erkennbar. Auch Schwanzenden reißen leicht ab, was zB bei Sabellaria (5) und bei Wattwurm (11) Unklarheiten verursachen kann. Ermordete Schuppenwürmer (2) verlieren oft ihre Elytren (Rückenschuppen). Kopfanhänge (9) sind bei Opalwurm (15) und Glyceridae (14) bei genauerer Betrachtung durchaus zu finden, sie sind aber nicht deutlich. Die Dicke (21) ist natürlich ein sehr windiges Merkmal wenn mensch an Jungtiere denkt, aber gerade die sehr häufige Gattung Anaitides (Phyllodoce) fällt schon im Freiland durch ihre extreme Schlankheit auf. Zur Absicherung betrachte mensch die Körperanhänge. Zu guter Letzt sei der oft gewaltige ausstülpbare Rüssel genannt, der die Kopfform bei flüchtiger Betrachtung bei Alkoholleichen z.T. Stark verändert erscheinen läßt. Ausgestülpt gezeichnet ist er hier bei Glyceridae (14), Nephthyidae (15), Magelona (20) und Nereis (22). Zu finden sind Borstenwürmer im Freiland am einfachsten durch Ausspülen von Bodenprobenin einem Sieb mit 0,5 mm Maschweite. Auch unter Muschelbänken und Steinen sind manche arten anzutreffen.
Abschließend eine Auswahl der (im Wattenmeer) häufiger anzutrefffenden Arten, die allein mit der Grabforke (ohne Sieb) zu finden sind: 2a Schuppenwürmer (Polynoidae) an Muschelbänken 4a Dreikantwurm (Pomatoceros) auf Treibgut 6a Köcherwurm (Pectiaria) Röhren am Strand angespült 11a Watt-/Pierwurm (Arenicola) landschaftsprägend 15a Opalwurm (Nephthys) des öfteren einzeln im Wattboden 16a+b „Gummibandwürmer“ (Scoloplos, Heteromastus) zahlreich im Boden, rot und dehnbar 19a Pygospio in dünnen Sandröhren, die mitunter massenweise freiorder gespült werden 22a Wattringelwurm (Nereis diversicolor) häufig; dunkler Rückenstrich Meerringelwurm (N. Virens) im April massenhaft angespült; wir bis 80 cm lang(!!), grün und bissig 25a Aaswurm (Anaitides) sehr häufig, besonders an Aas; oberflächlich kriechend des öfteren anzutreffen
„Gestatten: Tomopteris, ich bin Freischwimmer. Der Sand wär mir Hindernis, ich schwimme immer. Da ich im Schlüssel nicht genannt obwohl ich mit dem Rest verwandt darf ich das letzte Wort hier sagen: Bestimmt mal schön, und nie verzagen! Tschüüß!“
Literatur
ANONYMUS „A Polychaete primer“ undatierte Kopien aus der Seperatensammlung von Karsten Reise, List/Sylt
Hartmann-Schröder, G. (1917): Die Tierwelt Deuschlands, 58. Teil: Annelida, Borstenwürmer-Polychaeta VEB Gustav Fischer Vlg. Jena.
Fauchwald, K. (1977): The Polychaete Worms, Science Series 28, Natural History Mus. Of Los Angeles County.