Die Gattung Anagallis Linnaeus 1753 in Mitteleuropa (Wolfgang Ahrens)

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Hinweis: Dieser Schlüssel ist mit dem Autornamen gekennzeichnet und die Mitarbeit ist auf Wolfgang Ahrens (Wolfenbüttel) beschränkt. Auf der Diskussionseite sind Kritik und Verbesserungsvorschläge jedoch sehr willkommen!
Zitiervorschlag: Ahrens, W. 2011. Die Gattung Anagallis Linnaeus 1753 in Mitteleuropa. http:/​/​offene-naturfuehrer.​de/​web/​Die_​Gattung_​Anagallis_​Linnaeus_​1753_​in_​Mitteleuropa_​(Wolfgang_​Ahrens) Diese Arbeit ist eine Originalarbeit, die erstmalig hier publiziert ist.

Nachfolgend wird eine Übersicht über die in Mitteleuropa zu erwartenden Taxa der Gattung Anagallis (einschließlich Centunculus Linnaeus 1753) gegeben. Die Rangstufen varietas und forma werden zur Rangstufe varietas ohne eigenes Areal als unterste Rangstufe zusammengefaßt, da die Rangstufe forma nach Wagenitz (2003) heute im allgemeinen nicht mehr verwendet wird. Auf Autorenbezeichnungen wird bei den Varietäten in der Regel verzichtet, da die Einsicht in die Originalliteratur bislang nicht möglich war. Der Bezug zu den in der ausgewerteten Literatur aufgeführten Taxa wird durch eine Auflistung der Synonyme gegeben. Die Bestimmung von Anagallis minima, Anagallis tenella und der rot blühenden Sippe von Anagallis arvensis ist ohne Probleme möglich. Die Unterscheidung der blau blühenden Sippen Anagallis arvensis var. caerulea und Anagallis foemina kann jedoch nur über die Anzahl der Drüsenhaare am Petalenrand und die Anzahl der Zellen dieser Drüsenhaare erfolgen. Anagallis arvensis var. carnea wird als Farbvariante von Anagallis arvensis angesehen, die im übrigen in allen anderen Merkmalen mit Anagallis arvensis übereinstimmt. Bestimmungskritisch sind die fleischfarben und blau blühenden Hybriden Anagallis × doerfleri, deren Originalbeschreibung dem Autor derzeit noch nicht zur Verfügung steht. Ein sicheres Merkmal dürfte das gleichzeitige Auftreten drei- und vierzelliger Drüsenhaare am Petalenrand sein.

Einleitung

Die Gattung Anagallis umfaßt nach unterschiedlichen Quellen weltweit zwischen zehn (Erhardt et al. 2008) und vierzig (Melchior 1964) Arten, von denen nach Flora Europaea 6 Arten in Europa vorkommen. In Deutschland umfaßt die Gattung Anagallis nach gegenwärtiger Auffassung (Wisskirchen & Haeupler 1998, Buttler & Hand 2008) vier Arten: Anagallis arvensis Linnaeus 1753, Anagallis foemina Miller 1768, Anagallis minima (L.) E.H.L. Krause 1901 und Anagallis tenella (Linnaeus) Linnaeus 1774. In den aktuellen deutschsprachigen Exkursionsfloren stellen Fischer et al. (2008) die Gattungen Anagallis und Centunculus nach neueren molekularphylogenetischen Forschungsergebnissen in die vorwiegend pantropisch verbreitete Familie Myrsinaceae. Dagegen verbleiben die Gattungen in ROTHMALER (2011) und SCHMEIL-FITSCHEN (2011) in der Familie Primulaceae.

Das ursprüngliche Areal von Anagallis arvensis und Anagallis foemina liegt im mediterranen Raum, ist aber heute nicht mehr scharf abzugrenzen. Die rot blühende Varietät von Anagallis arvensis herrscht in Nordwest- und Mitteleuropa vor, tritt im gesamten Verbreitungsgebiet aber selten auch in anderen Varianten der Blütenfarbe auf. Anagallis foemina fehlt nach FLORA IBERICA V (2003) im südlichen Portugal, die blau blühende Varietät von Anagallis arvensis ist im westlichen Mediterrangebiet etwa gleich häufig wie Anagallis foemina, im östlichen Mediterrangebiet dagegen vorherrschend oder allein vertreten.

Bestimmungskritisch ist die Unterscheidung der blau blühenden Sippen Anagallis arvensis var. caerulea und Anagallis foemina sowie der fleischrot blühenden Sippen Anagallis arvensis var. carnea und der Hybride Anagallis × doerfleri Ronniger 1903, da die Unterscheidungsmerkmale in den gängigen Floren (Schmeil-Fitschen, Rothmaler, Oberdorfer, Fischer et al.) nicht verschlüsselt sind.

Rot und blau blühender Gauchheil wird bereits von Leonhart Fuchs 1543 in seinem „New Kreüterbuch“ als „Gauchheyl mennle“ in Frakturschrift [Gauchheyl mennle] und „Gauchheyl weible“ in Frakturschrift [Gauchheyl weible] abgebildet. Reizvoll ist seine Erklärung des Pflanzennamens:

„Fuchs, Ursprung des Pflanzennamens“ in Frakturschrift

[»Dise kreüter haben die alten aberglaubischen Teütschen Gauchheyl darumb geheyssen / das sie geglaubt haben / wo mans im jngang des vorhofs auffhencke / das sie allerley gauch und gespenst vertreiben«].

Anagallis arvensis wurde früher als Arzneipflanze gegen Geschwüre verwendet, sollte angeblich aber auch gegen Geisteskrankheiten helfen. Der deutsche Name Gauchheil leitet sich von „Gauch“ ab, ein Wort, das früher einen Tunichtgut und lästigen Menschen bezeichnete. Da sich die Blüte bei bewölktem Himmel schließt, nannte man sie auch Regen- oder Wetterblume.


Schlüssel zu den Arten

Anagallis minima (L.) E.H.L. Krause 1901

Chromosomenzahl: 2n = 22.

Nach gegenwärtiger Auffassung (Wisskirchen & Haeupler 1998, Buttler & Hand 2008) wird Anagallis minima (L.) E.H.L. Krause 1901 (Synonym: Centunculus minimus L. 1753) wie bereits in Flora Europaea 3 (1981) in die Gattung Anagallis Linnaeus 1753 gestellt. In den gängigen Exkursionsfloren (Schmeil-Fitschen, Rothmaler, Oberdorfer, Fischer et al.) findet sich dagegen noch die Gattung Centunculus.

Anagallis minima ist von Irland und England durch Mitteleuropa bis Mittelrußland verbreitet. Im Norden reicht das Verbreitungsgebiet bis Südskandinavien, im Süden bis Mittelitalien und auf den Balkan. Nach Flora Iberica kommt die Sippe auf der Iberischen Halbinsel von den Pyrenäen bis in das nördliche Portugal vor.

Abgebildet als Centunculus minimus in Flora Iberica Volume 5 (1997): lám. 18, pág. 56 (http://www.floraiberica.es/v.2.0/PHP/iconos.php?gen=Centunculus&espe=minimus&infra=&familia=Primulaceae und http://www.floraiberica.es/floraiberica/texto/pdfs/05_080_08%20Centunculus.pdf).

Die Verbreitungskarte aus Hultén & Fries (1986) findet sich auf der website des Naturhistoriska riksmuseet Stockholm „Den virtuella floran“ (http://linnaeus.nrm.se/flora/di/primula/anaga/anagmin.html und direkt: http://linnaeus.nrm.se/flora/di/primula/anaga/anagminv.jpg).

Abbildungen: http://www.floraweb.de/pflanzenarten/artenhome.xsql?suchnr=20404&, http://www.guenther-blaich.de/pflseite.php?par=Anagallis+minima

Herbarbeleg: http://herbar.nhg-nuernberg.de/biodiv/index.php?action=viewArt&art=Anagallis%20minima

1. Anagallis arvensis L. 1753 f. phoenicea Baumgarten;
2. Anagallis minima (L.) E.H.L. Krause 1901
– Aus: Deutschlands Flora in Abbildungen (1796)
– Kurt Stueber, BioLib, http://caliban.mpipz.mpg.de/sturm/flora/high/Sturm09060.html


Anagallis tenella (L.) L. 1774

Chromosomenzahl: 2n = 22.

Anagallis tenella ist eine mediterran-atlantische Art, die in Deutschland die Ostgrenze ihrer Verbreitung erreicht. Für Deutschland gibt es nur zwei aktuelle Angaben: in Nordrhein-Westfalen (Haeupler et al. 2003) bei Salzkotten [4317/2] und in Baden-Württemberg (Sebald et al. 1993) im Hotzenwald [8414/1]. Eine Verbreitungskarte findet sich in Hultén & Fries (1986).

Anagallis tenella
(Texel (NL), 8. und 9. Juni 2010.)
Anagallis tenella
(Texel (NL), 8. und 9. Juni 2010.)


Anagallis arvensis Linnaeus 1753 var. arvensis

Chromosomenzahl: 2n = 40.
Synonyme: Anagallis arvensis Linnaeus 1753 subsp. phoenicea (Scopoli) Schinz & Keller Hegi V/3 (1966); Anagallis arvensis Linnaeus 1753 f. phoenicea Baumgarten Garcke (1972)

Die rot blühende Anagallis arvensis ist eine einjährige, sommeranuelle Kriechpflanze oder winterannuelle Halbrosettenpflanze. Durch Saponine ist sie in allen Teilen, vor allem aber in der Wurzel, schwach giftig. Die Blütezeit reicht von Juni bis Oktober. Die Blüten öffnen sich nur bei Sonnenschein vormittags bis in die Mittagszeit. In dieser Zeit ist Fremdbestäubung möglich. Die Antheren sind mit Futterhaaren besetzt und ziehen verschiedene Bestäuber an. Bei ungünstiger Witterung erfolgt die Bestäubung in der geschlossen bleibenden Blüte, aber auch vor dem Abblühen erfolgt spontane Selbstbestäubung. Die Früchte des Acker-Gauchheils sind Deckelkapseln und reifen im Frühherbst. Der Fruchtstiel krümmt sich der Schwerkraft folgend und die Samen werden durch den Wind ausgeblasen oder als Regenschwemmlinge ausgebreitet.

Anagallis arvensis kommt an offenen, frischen bis mäßig trockenen, nährstoffreichen Standorten als Kennart in Hackunkrautgesellschaften, nach Oberdorfer (2001) vor allem im Verband Fumario-Euphorbion, den Kalkacker-Gesellschaften, in Gärten, auf Brachland und an Ruderalstellen vor. In jüngerer Zeit erobert der Acker-Gauchheil anscheinend auch salzbeeinflußte Straßenränder.

In Mitteleuropa gehört die Sippe zu den Archäophyten (Alteinwanderern). Im Gefolge des Menschen ist sie bereits in vor- oder frühgeschichtlicher Zeit in unser Gebiet eingewandert. Ihre Vorkommen sind streng an Kulturen des Menschen gebunden und in keiner natürlichen Pflanzengesellschaft anzutreffen.

Anagallis arvensis ist in Deutschland nahezu flächendeckend verbreitet, mit Ausnahme des nordwestniedersächsischen Tieflandes, wo in jüngerer Zeit erhebliche Flächenverluste zu verzeichnen sind, und der höheren Lagen der Mittelgebirge und der Bayerischen Alpen.


Anagallis arvensis var. arvensis, Einzelblüte mit „Futterhaaren“ (Foto: Helga Ahrens)
Anagallis arvensis var. arvensis, Einzelblüte mit „Futterhaaren“ (Foto: Helga Ahrens) 
Anagallis arvensis var. arvensis, „Futterhaare“ unter dem Mikroskop
Anagallis arvensis var. arvensis, „Futterhaare“ unter dem Mikroskop 
Anagallis arvensis var. arvensis, Blühende Pflanze
Anagallis arvensis var. arvensis, Blühende Pflanze 
Anagallis arvensis var. arvensis, Einzelblüten
Anagallis arvensis var. arvensis, Einzelblüten 

Anagallis arvensis var. caerulea (L.) GOUAN 1765

Synonyme: Anagallis arvensis Linnaeus 1753 subsp. phoenicea (Scopoli) Schinz & Keller f. caerulea Lüdi Hegi V/3 (1966); Anagallis arvensis Linnaeus 1753 f. azurea Hylander 1945 – Garcke (1972);

In Deutschland blüht Anagallis arvensis in der Regel zinnober- bis mennigrot, selten fleischfarben oder weiß. Im Mittelmeergebiet herrschen blau blühende Pflanzen vor, die selten auch in Mitteleuropa auftreten. Diese blau blühende Varietät führt Linnaeus 1759 in seiner Flora Monspeliensis neben Anagallis arvensis als Anagallis caerulea auf. Anagallis arvensis var. caerulea wird oft mit einer anderen, ausschließlich blau blühenden Gauchheil-Art, Anagallis foemina Miller 1768, verwechselt.

In den vorliegenden Floren und Verbreitungsatlanten werden die blau blühenden Formen von Anagallis arvensis in der Regel in die Art einbezogen und nicht gesondert kartiert. Im niedersächsischen Verbreitungsatlas (Garve 2007) findet sich jedoch eine Karte mit zehn Quadrantennachweisen der blau blühenden Sippe von Anagallis arvensis var. caerulea.

Die folgenden Bilder wurden 2009 und 2010 an der Algarve, Portugal, aufgenommen. Nach Flora Iberica kommt im Gebiet nur Anagallis arvensis vor, Vorkommen von Anagallis foemina sind nur in Spanien vorhanden. Als Farbvariante von Anagallis arvensis war zu erwarten, daß sich Anagallis arvensis var. caerulea nur in der Blütenfarbe von der rot blühenden Anagallis arvensis unterscheidet. Tatsächlich ist jedoch der Petalenrand deutlich gebuchtet und kommt damit dem Petalenrand von Anagallis foemina zum Verwechseln nahe. Außerdem sind die Blütenstiele der geöffneten Blüten nur etwa so lang wie das zugehörige Tragblatt, nach Sebald et al. (1993) und Oberdorfer (2001) ebenfalls ein Merkmal von Anagallis foemina. Das Erscheinungsbild von Anagallis arvensis var. azurea an der Algarve vermittelt somit zu Anagallis foemina. Die Zuordnung zu Anagallis arvensis stützt sich auf die zahlreichen Drüsenhaare am Petalenrand.

Die von Günther Blaich auf Mallorca aufgenommene Anagallis arvensis var. caerulea zeigt dagegen Blütenstiele, die deutlich länger sind als die Tragblätter. [1]

Von Jahn & Schönfelder (1995) wird eine Anagallis arvensis subsp. latifolia (L.) Arcangeli 1894 als „unzureichend geklärte Sippe“ aufgeführt, für die Hultén & Fries (1986) eine nördliche Verbreitungsgrenze angeben, die von den Pyrenäen nach Südgriechenland verläuft, die jedoch in Flora Iberica als Synonym zu Anagallis arvensis gestellt wird. Hierbei handelt es sich um eine oktoploide (2n=80) Chromosomenrasse von Anagallis arvensis, die in allen Teilen größer sein soll (z. B. aufgeführt in Flora Palaestina).

Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Salzmarsch südlich Castro Marim, 28. März 2010.
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Salzmarsch südlich Castro Marim, 28. März 2010. 
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Barroqueira östlich São Brás de Alportel, 29. März 2009.
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Barroqueira östlich São Brás de Alportel, 29. März 2009. 
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Barroqueira östlich São Brás de Alportel, 19. März 2009.
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Barroqueira östlich São Brás de Alportel, 19. März 2009. 
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Barroqueira östlich São Brás de Alportel, 19. März 2009.
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Barroqueira östlich São Brás de Alportel, 19. März 2009. 
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Pedras de El Rei, Praia do Barril, 27. März 2010.
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Pedras de El Rei, Praia do Barril, 27. März 2010. 
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Rocha da Pena, 23. März 2010.
Anagallis arvensis var. caerulea, Algarve, Rocha da Pena, 23. März 2010. 


Anagallis foemina Miller 1768

Chromosomenzahl: 2n = 40.
Synonyme: Anagallis arvensis L. subsp. caerulea (Schreber) Schinz & Keller Hegi V/3 (1966); Anagallis coerulea Nathorst Garcke (1972)

Anagallis foemina ist in Deutschland auf Kalkverwitterungsböden zwischen Donau und Lahn verbreitet, erreicht im Westen noch die Eifel und im Osten Thüringen sowie im Süden Niedersachsens und Sachsen-Anhalts das nördliche Harzvorland. Anagallis foemina ist am gebuchteten Petalenrand und an wenigen ausschließlich vierzelligen Drüsenhaaren zu erkennen.

Anagallis foemina Miller 1768, Ackerrand nördlich Nausiß, Thüringen, 30. Juni 2001.
Anagallis foemina Miller 1768, Ackerrand nördlich Nausiß, Thüringen, 30. Juni 2001.

Zur Unterscheidung von Anagallis arvensis L. 1753 und Anagallis foemina Miller 1768

Die in der eingesehenen Literatur aufgeführten Unterscheidungsmerkmale von Anagallis arvensis und Anagallis foemina werden in der folgenden Tabelle zusammengestellt.


Anagallis arvensis Anagallis foemina
Ränder der Petalen mit zahlreichen (50 bis 70), stets dreizelligen Drüsenhaaren besetzt, ihre terminale Zelle vergrößert, rundlich Ränder der Petalen kahl oder mit wenigen (5 bis 10), meist vierzelligen Drüsenhaaren besetzt, ihre terminale Zelle nicht vergrößert, länglich
Vorderrand der Petalen ganzrandig oder wenig gekerbt (rot blühende Formen) oder unregelmäßig gebuchtet (blau blühende Formen) Vorderrand der Petalen meist deutlich unregelmäßig gezähnt oder gebuchtet
Kronblätter (bis 6 mm breit) greifen bis zur Hälfte übereinander, die Kelchblätter verdeckend Kronblätter (bis 3.5 mm breit) greifen nicht übereinander, der grüne Kelch in den Zwischenräumen deutlich sichtbar
Kelchblätter ganzrandig, hautrandig Kelchblätter am Rande fein gesägt
Stiele der geöffneten Blüten und Fruchtstiele deutlich länger als ihre stumpflichen Tragblätter Stiele der geöffneten Blüten und Fruchtstiele nicht oder nur wenig länger als ihre spitzlichen Tragblätter
Kapsel mit 20 bis 22 Samen Kapsel mit 15 bis 16 Samen
Blätter hellgrün, eiförmig bis lanzettlich (1.5 fach so lang wie breit) Blätter dunkelgrün, obere länglich-eiförmig bis lanzettlich (doppelt so lang wie breit)

Am sichersten lassen sich die blau blühenden Anagallis-Sippen anhand der Ränder und der Drüsenhaare der Kronblattzipfel unterscheiden. Bei Anagallis arvensis ist der Rand der Kronblattzipfel nur wenig oder gar nicht gesägt und mit zahlreichen, meist dreizelligen Drüsenhaaren besetzt. Der Kronblattrand von Anagallis foemina ist dagegen meist deutlich unregelmäßig gesägt und besitzt nur einzelne vierzellige Drüsenhaare. Bei Anagallis arvensis sind die Blütenstiele länger als die Tragblätter, bei Anagallis foemina sind sie etwa so lang wie das Tragblatt. Immer und überall trennt nur das erste Merkmalspaar die beiden Arten.

Anagallis arvensis L. 1753 und Anagallis foemina Miller 1768, Ackerrand nördlich Nausiß, Thüringen, 30. Juni 2001.
Anagallis arvensis L. 1753
Ränder der Petalen mit Drüsenhaaren, links (rot): Anagallis arvensis, rechts (blau): Anagallis foemina
Anagallis foemina Miller 1768
Anagallis arvensis L. 1753, Dreizellige Drüsenhaare am glatten Petalenrand
Ränder der Petalen mit Drüsenhaaren (vergrößert), links (rot): Anagallis arvensis, rechts (blau): Anagallis foemina
Anagallis foemina Miller 1768, Vierzellige Drüsenhaare am gebuchteten Petalenrand


Anagallis arvensis L. 1753 var. carnea

Synonyme: Anagallis arvensis Linnaeus 1753 subsp. phoenicea (Scopoli) Schinz & Keller f. carnea [Schrank] Hegi V/3 (1966); Anagallis arvensis Linnaeus 1753 f. carnea (Schrank) Schinz & Keller Garcke (1972); Anagallis arvensis Linnaeus 1753 f. carnea (Schrank) Lüdi Oberdorfer (2001)

Bei Anagallis arvensis var. carnea dürfte es sich um eine Farbvariante von Anagallis arvensis handeln, die in ihren sonstigen Merkmalen mit Anagallis arvensis übereinstimmt.

Eine fleischfarbene Anagallis-Sippe wurde erstmals von Schrank (1789) aus eigener Kultur beschrieben. Schrank nennt seine Pflanze Anagallis carnea und stellt sie zwischen seine Anagallis phoenicea = Anagallis arvensis („Rother Gauchheil“) und Anagallis coerulea = Anagallis foeminea („Blauer Gauchheil“). Nach seiner Beschreibung „Die Blumenblätter gefranzet“ (also mit Drüsenhaaren!), „stumpf, und undeutlich gekerbt“ dürfte es sich um Anagallis arvensis var. carnea gehandelt haben. Wisskirchen & Haeupler (1998) führen die Sippe daher auch als Synonym von Anagallis arvensis auf. Eine andere Auffassung vertritt Philippi in Sebald et al. (1993), der Anagallis × carnea Schrank 1789 als Hybride von Anagallis arvensis und Anagallis foemina ansieht.

Bei der nachfolgenden Aufnahme einer fleischfarbenen Pflanze aus der Algarve, Portugal, dürfte es sich ebenfalls um Anagallis arvensis var. carnea handeln, da Anagallis foemina als potentielle Elternart nach Flora Iberica in der Algarve nicht vorkommt. Allerdings decken sich die Kronzipfel der abgebildeten Blüte nicht und die Kelchblätter sind in ganzer Länge sichtbar, nach Rothmaler (2005) ein Merkmal von Anagallis foemina, die Kelchblätter an den geschlossenen Blüten sind jedoch nur etwa 1/3 so lang wie die Krone und damit deutlich kürzer als von Rothmaler (2005) für Anagallis arvensis (etwa 2/3 der Kronenlänge) oder Anagallis foemina (so lang wie die Krone) angegeben.

Anagallis arvensis L. 1753 var. carnea
Algarve, Marmelete – Aljezur, 27. März 2009.


Anagallis arvensis × Anagallis foemina = Anagallis × doerfleri Ronniger 1903

Synonyme: Anagallis arvensis L. subsp. phoenicea (Scopoli) Schinz & Keller × Anagallis arvensis L. subsp. caerulea (Schreber) Schinz & Keller = Anagallis carnea Schrank = Anagallis doerfleri Ronniger Hegi V/3 (1966); Anagallis arvensis f. phoenicea × Anagallis foemina = Anagallis × doerfleri Ronniger 1903

Im Jahre 1872 fand der Oberforstmeister Melsheimer zusammen mit Anagallis arvensis und Anagallis foemina eine Pflanze in größerer Menge, die sich durch stärkeres Wachstum, größere Blüten und Unfruchtbarkeit von diesen Arten unterschied und die er daher für eine Hybride dieser Arten hielt (Melsheimer 1873 nach Šveřepová 1978). Der Fundort dieser Pflanzen dürfte in der Nähe von Rheinbrohl, Rheinland-Pfalz, gelegen haben. Auf diese Hybride weist Garcke bereits 1890 in seiner Flora von Deutschland als Anagallis arvensis × coerulea hin!

1903 veröffentlichte Ignaz Dörfler, Konservator am Botanischen Institut der Universität Wien, einen Bericht über den Fund einer Hybride von Anagallis arvensis L. und Anagallis coerulea Schreber in Niederösterreich. Diese wurde von Karl Ronniger (1871 – 1954), einem Freund Dörflers, als Anagallis × doerfleri benannt. Karl Ronniger wird von K.H. Rechinger in seinem Nachruf als „der letzte einer Reihe von bedeutenden Wiener Amateur-Botanikern“ gewürdigt. Dörfler brachte Belege von Anagallis × doerfleri als Exsikkate zum Versand in die Herbarien verschiedener Länder. Den Exsikkaten fügte Dörfler Scheden mit einer ausführlichen Beschreibung und Angaben zur Fundgeschichte der Hybride bei. Die Fundgeschichte von Anagallis × doerfleri wird von Šveřepová (1978) ausführlich behandelt.

Von den von Dörfler als Herbarium Normale versandten Exsikkaten ist ein Typus-Beleg von Anagallis × doerfleri im Herbar des Naturhistoriska riksmuseet Stockholm vorhanden (siehe jstor).

Bei der Anzahl der Drüsenhaare am Rand der Petalen fand Šveřepová (1978) ein ausgeprägt intermediäres Verhalten:

Anagallis arvensis 30  bis  80
Anagallis × doerfleri  20  bis  60
Anagallis foemina 0  bis  30


Der hohe Überschneidungsbereich läßt allerdings anhand der Anzahl der Drüsenhaare keine Zuordnung zu Anagallis arvensis var. carnea oder Anagallis × doerfleri zu! Vierzellige Drüsenhaare finden sich am Rand der Petalen von Anagallis × doerfleri nur sehr vereinzelt (Šveřepová 1978).

Literaturangaben zu Fundorten von Anagallis × doerfleri wurden im Raster der TK 25 in der nachfolgenden vorläufigen Verbreitungskarte zusammengestellt.

Die ersten Fundorte von Melsheimer (1872) wurden nach den Ortsangaben „Waschberg“ dem Blatt 5409 Linz am Rhein und „Arienhaller = Arienheller (?)“ dem Blatt 5510 Neuwied der TK 25 zugeordnet. Brandes (1897) nennt in seiner Flora der Provinz Hannover einen Fundort von Anagallis × doerfleri bei Hildesheim. Ebenso weist Herdam (1993) auf Funde von Anagallis × doerfleri um 1948 bei Gatersleben in östlichen Nordharzvorland hin. In Baden-Württemberg sind drei Fundorte von Anagallis × doerfleri bekannt. Eine 1990 gefundene Hybride ist in Sebald et al. (1993) abgebildet. Gatterer & Nezadal (2003) zitieren drei Fundortangaben von Schwarz aus dem Regnitzgebiet. Weitere Fundorte wurden Lüdi (1926) und Šveřepová (1978) entnommen. Drei weitere Fundorte der „offensichtlich seltenen Hybride“ nennt Meierott (2008).


Vorläufige Verbreitungskarte von Anagallis × doerfleri Ronniger 1903 nach Fundortangaben in der eingesehenen Literatur.


Anagallis arvensis var. caerulea × Anagallis foemina

Im Verbreitungsgebiet von Anagallis arvensis var. caerulea und Anagallis foemina im Mittelmeerraum ist die Hybride Anagallis arvensis var. caerulea × Anagallis foemina zu erwarten. Da alle drei Sippen blau blühen, dürfte diese Hybride, die die gleichen Merkmale wie die Hybride Anagallis arvensis × Anagallis foemina = Anagallis × doerfleri besitzt, bislang übersehen worden sein.

Eine blau blühende Hybride Anagallis arvensis var. caerulea × Anagallis foemina = Anagallis × doerfleri fand Dörfler bereits 1909 in Niederösterreich.


Anagallis arvensis L. 1753: weitere Farbvarianten

Nach Marsden-Jones & Weiss (1960) gibt es sechs natürlich vorkommende Farbvarianten von Anagallis arvensis (Šveřepová 1978):

var. caerulea blau
var. carnea fleischfarben
var. lilacina lila
var. pallida weißlich
var. vinacea weinrot
var. decipiens  schmutzig violett

Literatur

Ahrens, W. (2001): Zur Unterscheidung der blau blühenden Sippen Anagallis arvensis L. f. azurea und Anagallis foemina Miller in: Ostharz – Kyffhäuser – Thüringer Becken – Werratal – Exkursionsbericht der Arbeitsgruppe Botanik des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim mit Dr. Heinrich Hofmeister – www.nordharzev.de/anagallis.htm

Ahrens, W. (2009): Portrait einer heimischen Pflanze: Anagallis arvensis – Der Acker-Gauchheil – Natur und Museum 139 (7/8): 248-249.

Benkert, D., F. Fukarek & H. Korsch (1996): Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen Ostdeutschlands – Jena (Fischer).

Brandes, W. (1897): Flora der Provinz Hannover – Hannover (Hahn'sche Buchhandlung).

Buttler, K.P. & R. Hand (2008): Liste der Gefäßpflanzen Deutschlands – Kochia Beiheft 1.

Düll, R. & H. Kutzelnigg (1994): Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch 5. Auflage – Heidelberg – Wiesbaden (Quelle & Meyer).

Erhardt, W.et al. (2008): Der große Zander – Band 1 & 2 – Stuttgart (Ulmer).

Fischer, M.A. et al. (2008): Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol 3. Auflage. – Linz (Biologiezentrum der Oberösterreichischen Landesmuseen).

Flora Europaea: Vol. 3 (1972): Ferguson, L.F. Anagallis. In Tutin, T.G. et al., Flora Europaea, Volume 3 Diapensiaceae to Myoporaceae Cambridge University Press.

Flora Iberica: Vol. V (2003): Pujadas, A. Anagallis. In Castroviejo, S. et al. Flora Iberica, Volumen V Ebenaceae – Saxifragaceae 57-62 – Madrid (Real Jardín Botánico, CSIC) – [2] .

Fuchs, L. (1543): New Kreüterbuch – Reprint 2001 (Taschen).

Garcke, A. (1890): Flora von Deutschland 16. Auflage – Berlin (Parey).

Garcke (1972): Garcke, A. (Begr.), K. v. Weihe (1972) Illustrierte Flora 23. Auflage – Berlin und Hamburg (Parey).

Garve, E. (2007): Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen und Bremen – Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen 43.

Gatterer, K. & W. Nezadal (2003): Flora des Regnitzgebietes – 2 Bände – Eching (IHW-Verlag).

Haeupler, H. & P. Schönfelder (1988): Atlas der Farn- und Blütenpflanzen der Bundesrepublik Deutschland – Stuttgart (Ulmer).

Haeupler, H., A. Jagel & W. Schumacher (2003): Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen in Nordrhein-Westfalen – Recklinghausen (LÖLF).

Herdam, H. (1993): Neue Flora von Halberstadt – Quedlinburg (Botanischer Arbeitskreis Nordharz).

Hultén, E. & M. Fries (1986) Atlas of North European Vascular Plants – Königstein (Koeltz).

Jahn, R. & P. Schönfelder (1995): Exkursionsflora für Kreta – Stuttgart (Ulmer).

Krause, E.H.L. (1901): J. Sturms Flora von Deutschland 2. Auflage – Stuttgart (K.G. Lutz).

Linnaeus, C. (1759): Flora Monspeliensis – Amoenitates Academiae IV.

Lüdi, W. (1926): Primulaceae in Hegi (1966): Illustrierte Flora von Mitteleuropa – Band V Teil 3.

Meierott, L. (2008): Flora der Haßberge und des Grabfelds – 2 Bände – Eching (IHW-Verlag).

Melchior, H. (1964): A. Engler's Syllabus der Pflanzenfamilien 12. Auflage II. Band – Berlin (Borntraeger).

Meusel et al. (1978):Vergleichende Chorologie der zentraleuropäischen Flora, Band II – Jena (Fischer).

Oberdorfer (2001): Pflanzensoziologische Exkursionsflora 8. Auflage – Stuttgart (Ulmer).

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