Quelltext der Seite Adler (Johann Wilhelm Ludwig Gleim)

{{SEITENTITEL zentriert}}
{{Buch blättern | [[Kategorie:Literarische Exkursionen]]}}
<p class="ausdrucken-Frakturschrift">'''Adler.''' Es iſt mir lieb, daß du ſo weit von uns wohnſt und zwar auf großen Bergen , welche aus vielen rauhen Steinen beſtehen, die man Feſen nennt. Du biſt wohl ſo weit fort, denn man erzählt, daſs du gegen die kleinen, jungen Adler gar ſo grob und böſe ſeieſt, und ſie aus dem Neſte werfeſt, wenn du zornig biſt, und ſogar oft auch wenn die Kleinen krank ſind. Du Böſer, mit deinem gebogenen Schnabel und den ſcharfen Klauen. Die andern Vögel, die Haſen, Hirſch- und Rehkälber, Lämmer, die jungen Ziegen, wilden Gänſe, Feld- und Waldmäuſe fürchten dich ſehr und heißen dich gar einen Räuber — In Irrland raubte einmal ein Adler ein vierjähriges Kind, das vor einem Hauſe ſpielte, und trug es ſeinen Jungen in ſein Neſt. Der Vater eilte nach, aber bis er das Felſenneſt erſtieg, hatten die Adler dem Kinde ſchon die Augen ausgehackt, und es ſo zugerichtet, daß es in wenigen Stunden darauf ſtarb. — Doch auch manchen ſchönen Zug, kennt man vom Adler; ſo gefällt mir namentlich der in folgendem Gedicht:
</p>

{{Gedicht Anfang}}
<p class="ausdrucken-Frakturschrift">Ein Adler traf auf ſeiner Bahn<br />
Zur Sonn’ einſt eine Lerche an,<br />
Und hörte ſie<br />
Die ſchönſte Melodie<br />
Dem ſtillen Himmel ſingen.<br />
Die ausgebreiteten und eilgewohnten Schwingen<br />
Verweilten ſich; langſamer ward der Flug<br />
Und ſtill die Luft, die ihren König trug.</p>

<p class="ausdrucken-Frakturschrift" style="margin-top:1ex">„Sitz’ auf!“ ſpricht er zur Lerch’, „ich werde<br />
Dich in den Himmel tragen,<br />
Mein Fittig ſei dein Wagen.“</p>

<p class="ausdrucken-Frakturschrift" style="margin-top:1ex">„Nein,“ ſagte ſie, „ich ſinge<br />
Dem Schöpfer aller Dinge,<br />
Hienieben an der Erde.<br />
Nach einer höhern Sphäre<br />
Flieg’ du, zu ſeiner Ehre!“ —
</p>
{{Gedicht Ende}}

----
{{Stichwörter | Adler, Lärche, Schöpfer, Erde, Himmel, Kinderlexikon}}
----
{{Gedichtquelle |Text=Gedicht von Johann Wilhelm Ludwig Gleim zitiert beim Stichwort '''Adler''' in Wilhelm Weiß, ''Kinder-Conversations-Lexikon: eine Gabe für die wiß- und lernbegierige Jugend ; auch für Eltern, Lehrer, Erzieher und für jeden Kinderfreund'', 4. Aufl., Bd. 1 (Dillingen: Verlag von Carl von Lama, 1867), https://books.google.de/books?id=GG7qa0--fTgC. '''Originalgedicht''' S.&#8239;15, Gedicht 10 in: Gleim, J. W. L. 1816: ''Fabeln, Erzählungen und Romanzen.'' Bauer, Wien, S. 250 (http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11259929-7)
|CSS-Stil=font-size:small; line-height:110%;
}}


[[Kategorie: Naturgedichte]]
[[Kategorie: Tiergedichte]]
[[Kategorie: Literarische Exkursionen]]
[[Kategorie: Wilhelm Weiß]]
[[Kategorie: Kinderlexikon]]
[[Kategorie: Johann Wilhelm Ludwig Gleim]]
[[Kategorie:Text in Frakturschrift]]