Crassulaceae – Dickblattgewächse in Mitteleuropa (W. Bernhard Dickoré)
Hinweis: | Dieser Schlüssel ist mit dem Autornamen gekennzeichnet und die Mitarbeit ist auf W. Bernhard Dickoré beschränkt. Auf der Diskussionseite sind Kritik und Verbesserungsvorschläge jedoch sehr willkommen! Es existiert zudem eine frei veränderliche Version in offener Zusammenarbeit: Crassulaceae (Mitteleuropa). |
Zitiervorschlag: | Dickoré, W. Bernhard 2011. Crassulaceae – Dickblattgewächse in Mitteleuropa. Mit Anmerkungen von Eckehart Jäger und Klaus Adolphi. http://offene-naturfuehrer.de/wiki/Crassulaceae_–_Dickblattgewächse_in_Mitteleuropa_(W._Bernhard_Dickoré) Diese Arbeit ist eine Originalarbeit, die erstmalig hier publiziert ist. |
Anmerkungen:
Die grünen Teile fast aller Crassulaceae sind ausgesprochen fleischig und wasserhaltig (sukkulent). Die Pflanzen werden daher nicht gerne gesammelt und sind in vielen Herbarien unterrepräsentiert. Gute Herbarbelege lassen sich meist nur durch schnelles Abtöten (z. B. durch Hitze oder Tieffrieren) und rasche Entwässerung des Gewebes erzielen. Die Untersuchung der meist zarten Blütenteile an Herbarmaterial erfordert oft Aufkochen.
Die Crassulaceae waren namensgebend für den hier entdeckten und in der Familie anscheinend universell vorkommenden Crassulacean Acid Metabolism (CAM) oder diurnalen Säurestoffwechsel, einen speziellen Photosynthese-Weg, der den Pflanzen eine zeitliche Trennung zwischen der Fixierung von Kohlenstoffdioxid und dem folgenden Aufbau von Kohlehydraten im Calvin-Zyklus ermöglicht. Sowohl die Präferenz oder Spezialisierung der meisten Arten für ausgesprochen trockene und sonnenexponierte Standorte als auch ihre Sukkulenz hängen damit zusammen. CAM-Pflanzen können die Spaltöffnungen in den heißen Tagesstunden geschlossen halten und somit Wasserverluste minimieren, andererseits werden große Vakuolen zur Zwischenspeicherung des ersten Fixierungsprodukts (Äpfelsäure) benötigt. Der CAM-Stoffwechsel ist nicht auf die Crassulaceae beschränkt, sondern findet sich systematisch weit gestreut auch in verschiedensten anderen Gefäßpflanzen-Familien und -Gattungen.
Die höherere Taxonomie der Crassulaceae wurde weitgehend, aber durchaus nicht immer eindeutig, durch molekular-systematische Arbeiten bestätigt, unterstützt oder in einigen Fällen auch induziert oder revidiert. Dieses trifft aber aufgrund verschiedenartiger Einschränkungen (z. B. ungeklärte alpha-Taxonomie, Ploidiereihen, ungleiches sampling, geringe molekulare Divergenzen aufgrund vermutlich rezenter Diversifizierung) kaum auf die Artebene und benachbarte Rangstufen (sowie komplexe taxonomische Hierarchien) zu. Gattungsbegrenzungen bleiben vor allem im Umkreis der großen (und zumindest in ihrer traditionellen Umschreibung sicher polyphyletischen) Sammelgattung Sedum teilweise umstritten. Neben Rhodiola (einer vor allem im Sino-Himalaya sehr vielgestaltigen Gattung) bilden auch Hylotelephium (Sedum telephium-Gruppe) und Phedimus gut umrissene Verwandtschaftskreise, die vorzugsweise und in der neueren Literatur mehrheitlich als eigene Gattungen abgetrennt werden. Tillaea ist wahrscheinlich besser in Crassula einzuschließen. Molekulare Hinweise auf Eigenständigkeit von Tillaea scheinen derzeit nicht stichhaltig oder auch auf unzureichendem sampling zu beruhen. Argumente für oder gegen die Abtrennung der Gattung Jovibarba von Sempervivum scheinen sich etwa die Waage zu halten; blüten- und pollenmorphologische Unterschiede sprechen eher dafür; konklusive molekulare Daten scheinen zu fehlen.
Die Bearbeitung schließt einige für Mitteleuropa unsichere Sippen ein; sowohl indigene Arten der Randgebiete (vor allem der SW- und Seealpen) und infraspezifische Einheiten, als auch eine Anzahl als adventiv vorkommend gemeldeter, aber nicht immer taxonomisch überprüfter (bzw. mit einfachen Mitteln überprüfbarer) Sippen. Weiterhin kontroverse Bearbeitungen, zweifelhafte Interpretationen und auch häufige Fehlbestimmungen betreffen insbesondere gärtnerisch relevante und züchterisch bearbeitete Vertreter der Crassulaceae (z. B. der Gattungen Hylotelephium und Phedimus, aber auch Sempervivum und der Sedum rupestre-Gruppe) und entsprechende Verwilderungen.
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Inhaltsverzeichnis
- 1 Crassula (Dickblatt, inkl. Tillaea)
- 2 Hylotelephium (Waldfetthenne, Anacampseros)
- 3 Jovibarba (Donarsbart, Fransenhauswurz, Diopogon, Sempervivum sect. Jovibarba)
- 4 Phedimus (Glanzfetthenne, inkl. Aizopsis, Asterosedum, Spathulata)
- 5 Rhodiola (Rosenwurz)
- 6 Sedum (Mauerpfeffer, Fetthenne; inkl. Oreosedum, Petrosedum, exkl. Hylotelephium, Phedimus)
- 7 Sempervivum (Hauswurz, Dachwurz)
- 8 Umbilicus (Venusnabel, Nabelkraut)
- 9 Literatur
Crassula (Dickblatt, inkl. Tillaea)
Hylotelephium (Waldfetthenne, Anacampseros)
Anmerkungen: Hylotelephium bildet eine gut abgegrenzte, holarktisch verbreitete Gattung mit besonders hoher Diversität in Ostasien. Die Artgrenzen sind jedoch vor allem bei dem europäisch zentrierten „Sedum telephium agg.“ unklar. Derzeit erscheint die morphologische Variation innerhalb der H. telephium-Gruppe weitgehend ungeklärt und eine kaum überschaubare Anzahl von potentiellen Synonymen und deren Typifizierungen können nicht sicher zugeordnet werden. Kombinationen auf verschiedenen Rangstufen (Subspezies, Varietäten) scheinen insgesamt einem Überblick über die zahlreichen aus dem Umkreis von H. telephium beschriebenen Sippen kaum förderlich. Eine Revision der Gruppe müsste wahrscheinlich das Gesamtareal der Gruppe (große Teile Eurasiens und N-Amerikas) umfassen; der regionale geographische Fokus bisheriger Arbeiten reicht offensichtlich nicht aus. Als annäherndes Abbild der Ploidiestufe (diploid bis oktoploid?) wären Pollen- und Staubbeutelmaße mehr zu beachten. Artdifferenzierungen zwischen verschiedenen, vor allem höheren Ploidiestufen können jedoch wahrscheinlich nicht schematisch gefasst werden (die Zuordnung verschiedener publizierter Zahlen erscheint auch zweifelhaft). Blütenfarben sollten notiert werden, da sie sich bei Herbarmaterial kaum erhalten.
Eine Anzahl weiterer asiatischer Hylotelephium-Arten wird gelegentlich kultiviert, z. B. Hylotelephium sieboldii (Sweet ex Hook.) H. Ohba aus Japan und C-China mit fächerförmigen Blättern in 3-zähligen Quirlen, Hylotelephium cauticola (Praeger) H. Ohba aus Japan (Hokkaido) und das sehr charakteristische, strauchige Hylotelephium populifolium (Pallas) H. Ohba aus W-Sibirien. Über Verwilderungen ist derzeit jedoch nichts bekannt.
Jovibarba (Donarsbart, Fransenhauswurz, Diopogon, Sempervivum sect. Jovibarba)
Anmerkungen: Im Gegensatz zu einer weiteren E-europäischen Sippe, Jovibarba heuffelii (Schott) Á. Löve & D. Löve (Sempervivum heuffelii Schott), werden die im Folgenden geschlüsselten mitteleuropäischen Sippen meist einer einzigen polymorphen Art, Jovibarba globifera (L.) Tjaden ex J. Parn., als Unterarten zugeordnet. Diese Rangstufen entsprechen dem Variationsspektrum und der weitgehend kohärenten Verbreitung eventuell besser. Die infraspezifische Staffelung und resultierende wechselnde Unterordnung verschiedener Sippen innerhalb des „Jovibarba globifera agg.“ hat jedoch eher zur taxonomischen Verwirrung beigetragen.
Phedimus (Glanzfetthenne, inkl. Aizopsis, Asterosedum, Spathulata)
Anmerkungen: Phedimus bildet eine gut von Sedum abgegrenzte Gattung von eurasiatischer Verbreitung. Arten beider Untergattungen (UG Phedimus: Blüten weiß, rosa oder rot: Mittelmeergebiet bis SW-Asien) und UG Aizopsis: Blüten gelb; N-, C- und E-Asien) werden seit langem kultiviert und verwildern in Mitteleuropa und anderswo. Die Artabgrenzungen bleiben allerdings oft unklar. Phedimus florifer (Praeger) 't Hart (Sedum floriferum Praeger) und Phedimus kamtschaticus (Fisch. & C. A. Mey.) 't Hart (Sedum kamtschaticum Fisch. & C. A. Mey.) werden zusätzlich zu den geschlüsselten Arten als unbeständig verwildert für DE (Bw) angegeben; Phedimus ellacombianus (Praeger) 't Hart und Phedimus middendorffianus (Maxim.) 't Hart als kultiviert für Österreich. Alle stehen Phedimus hybridus und/oder Phedimus aizoon zumindest sehr nahe und wurden wechselnd in deren Synonymien einbezogen.
Der hier gewählte deutsche Gattungsname ist etymologisch nicht zweifelsfrei, aber nicht zuletzt auch aufgrund des europäisch-mediterranen Gattungstypus (Phedimus stellatus) der „Asien-Fetthenne“ (Fischer & al. 2008) vorzuziehen. (In der männlichen Form unter Phedimus sind die Epitheta florifer und stolonifer orthographisch korrekt).
Rhodiola (Rosenwurz)
Die Gattung Rhodiola (Crassulaceae) ist in Mitteleuropa nur mit einer Art vertreten:
→ Rosenwurz Rhodiola rosea L.
(= Sedum rosea (L.) Scop., Sedum rhodiola DC.)
Pflanzen kahl, mit zylindrischem oder kopfigem, fleischigem, ± über die Erdoberfläche ragendem, mit braunen Schuppenblättern besetztem und nach Rosenblüten duftendem (?) Rhizom. Einjährige Stängel aus den Achseln der Schuppenblätter; Laubblätter wechselständig, oberwärts an Größe zunehmend, graugrün oder bläulich bereift, meist verkehrt eilanzettlich, sitzend, am Grund ± keilig verschmälert, in der oberen Hälfte meist gezähnt, spitz. Blütenstand dicht, vielblütig. Pflanzen zweihäusig, Blüten 4-zählig; Kronblätter 3–4 mm lang, linealisch, grünlich gelb oder rötlich überlaufen, bei den weiblichen Blüten ± verkümmert. Weibliche Blüten mit rudimentären Staubblättern; männliche mit rudimentären Fruchtblättern. Höhe (15) 20–35 cm. N-, SW-, SE- und Mitteleuropa, N-Asien, N-Amerika, In Mitteleuropa selten bis zerstreut, vor allen in den Zentralalpen und (sehr lokal) in einigen höheren Silikat-Mittelgebirgen: AT (N, O†, St, K, S, T, V†), CH, CZ, DE (Ba: Arber, Bw: Belchen), E-FR, N-IT, PL, SI, SK. Felsspalten, Blockhalden, steinige Weiderasen, Quellfluren, auf Silikat; mont.-alp.
Sedum (Mauerpfeffer, Fetthenne; inkl. Oreosedum, Petrosedum, exkl. Hylotelephium, Phedimus)
Sempervivum (Hauswurz, Dachwurz)
Anmerkungen: Die Systematik von Sempervivum ist anscheinend durch eine rezente und aktive Speziation, mit auch in der Natur häufiger Bastardierung und dem Vorkommen von Ploidiereihen verkompliziert. Gärtnerisches Interesse (als beliebte Steingartenpflanzen), Züchtung und Hybridisierung hat anscheinend ebenfalls zu weitreichender taxonomischer Verwirrung beigetragen. – Angaben zu den Laubblattrosetten beziehen sich auf erwachsene (± blühreife) Pflanzen; für Rosettenblättern auf die äußeren (unteren) Blätter der Grundblattrosette.
Umbilicus (Venusnabel, Nabelkraut)
Anmerkungen: Eine atlantisch-mediterran verbreitete Gattung, die mit zwei Arten den S-Rand Mitteleuropas erreicht. Das in Steingärten selten kultivierte Kaukasus-Walddickblatt, Chiastophyllum oppositifolium (Ledeb. ex Nordm.) A. Berger (Cotyledon oppositifolia Ledeb. ex Nordm., Umbilicus oppositifolius (Ledeb. ex Nordm.) Ledeb.) ist wahrscheinlich in einer eigenen monotypischen Gattung besser untergebracht. Verwilderungen sind nicht bekannt.
Literatur
- Eggli, U. 2003: Sukkulentenlexikon. Band 4 Crassulaceae (Dickblattgewächse). Stuttgart (Eugen Ulmer).
- Fischer, M. A., Oswald, K. & Adler, W. 2008: Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol, 3. Aufl.
- Fu, K., Ohba. H. & Gilbert, M. G. 2001: Crassulaceae in: Flora of China 8: 202–268. Beijing & St. Louis.
- Götz, T. 2010: Online-Exkursionsflora der Alpen und angrenzender Gebiete: Crassulaceae pp. 154–161. – Published on the Internet http://www.tkgoetz.homepage.t-online.de/alpenflorahome.html (accessed 2010–09–28)
- Jalas, J., Suominen, J., Lampinen, R. & Kurtto, A. (eds) 1999: Atlas Florae Europaea 12: Resedaceae to Platanaceae. Crassulaceae: pp. 40–127.
- Moran, R. V.: Crassulaceae. In: Flora of North America 8: 147–229. – Published on the Internet http://www.efloras.org/florataxon.aspx?flora_id=1&taxon_id=10225 (accessed 2010–09–28)
- Jäger, E. J., Ebel, F., Hanelt, P. & Müller, G. K. (eds.) 2008: Rothmaler Exkursionsflora von Deutschland5. Krautige Zier- und Nutzpflanzen.
- Jäger, E. J. & Werner, K. (eds.) 2005: Rothmaler Exkursionsflora von Deutschland4. Gefässpflanzen: Kritischer Band, 10. Aufl.
- Sebald, O. 1992: Crassulaceae. In: Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs 3: pp. 226–253.