Tipps zur Artbestimmung
Woran Du denken solltest, wenn Du Bestimmungsschlüssel benutzt und Pflanzen oder Tiere zur Artbestimmung sammelst.
Inhaltsverzeichnis
Finde den „richtigen“ Bestimmungsschlüssel
Entspricht der Schlüssel meinen Vorkenntnissen? Richtet sich der Schlüssel an Anfänger und Laien oder an Spezialisten? Um Schlüssel für Spezialisten zu benutzen, muss man zumeist auch das Fachvokabular kennen, mit dem Körperteile eines Tieres oder Pflanzenteile bezeichnet werden. Zudem schlüsseln Spezialisten auch solche Arten aus, die nur sehr schwer zu unterscheiden sind oder sie benennen auch Unterarten. Wenn ein Anfänger mit einem solchen Schlüsseln zu arbeiten beginnt, wird er oft Schwierigkeiten haben die Texte zu erfassen und im Bestimmungsprozess stecken bleiben oder zu einem irrtümlichen Ergebnis kommen. Dadurch verliert er leider schnell die Lust an der Artbestimmung. Als Anfänger ist es daher besser mit solchen Schlüssel zu beginnen, die nur gut zu erkennenden Arten ausschlüsseln. Der Erfahrene wird an Schlüsseln, die alle Arten ausschlüsseln, mehr Freude haben. An wen sich nun ein Schlüssel richtet, kannst Du zu Beginn eines jeden Schlüssels i.d.R. im gelben Info-Kasten erkennen.
Gilt der Schlüssel für das Gebiet, in dem ich die Art gefunden habe? Es gibt kaum etwas Frustrierenderes als zu versuchen eine Art zu bestimmen, die im benutzten Bestimmungsschlüssel nicht vorkommt. Das passiert nicht nur am Alpenrand recht leicht, wo durch die besonderen klimatischen Verhältnisse andere Arten vorkommen als im tieferliegenden Deutschland. Auch von Ost nach West kommen Arten innerhalb Deutschlands an ihre Verbreitungsgrenze und können so in regional begrenzten Schlüsseln fehlen.
Hast Du eine ungefähre Ahnung von der Art die Du vor Dir hast? Da die meisten Bestimmungsschlüssel nur eine Tiergruppe oder eine begrenzte Zahl von Pflanzenfamilien umfasst, muss zunächst der richtige Bestimmungsschlüssel ausgewählt werden.
Das heißt, man muss zumindest wissen ob es sich bei dem Tier oder der Pflanze, die man bestimmen möchte, um einen Käfer, eine Wanze oder eine Spinne handelt oder ob man ein Süßgras oder ein Sauergras vor sich hat.
Spezialschlüssel für Knospen, Früchte, Keimlinge erleichtern die Artbestimmung zu bestimmten Jahreszeiten oder Entwicklungsstadien der Pflanze.
Gehe angemessen und vorsichtig mit dem um, was Du bestimmen möchtest
Achte auf Dich selbst
Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber einige wenige Pflanzen und Tiere können Dir schaden. Dass die Brennnessel brennt und die Wespe sticht, weiß jedes Kind. Einige weitere und seltenere Arten sollte man hingegen besser kennen: eine der gefährlichsten Pflanzen – gefährlicher als die Brennnessel – ist die Herkulesstaude Heracleum mantegazzianum, die man am besten gar nicht berühren sollte, da sie einen gefährlichen Saft absondert, der die Haut stark reizt. Zum Glück ist die bis über zweieinhalb Meter hoch werdende Staude leicht zu erkennen. Die Ambrosiapflanze Ambrosia artemisiifolia, die – wohl aufgrund der Klimaerwärmung entlang der trockenwarmen Autobahnmittelstreifen nach Deutschland einwandert – hat stark allergene Pollen und kann daher allergische Reaktionen auslösen und sogar Asthma verursachen. Bei Kröten sondert die warzige Haut ein Sekret ab, das die Kröte selbst schützt aber bei uns Menschen ebenfalls Allergien auslösen kann. Man sollte sich daher immer die Hände waschen, wenn man Amphibien in die Hand genommen hat (das kann man auch am Tümpel machen).
Respektiere das, was Du bestimmen möchtest
Beim Bestimmen von Pflanzen ist es oft einfacher einige Pflanzen z. B. auf der Wiese zu sammeln und sich dann in den Schatten oder an einen Tisch zurückzuziehen, um die Pflanzen mit der Lupe genau zu betrachten und die Schlüsselmerkmale gut lesen zu können. Es dürfen aber nicht alle Pflanzen abgepflückt werden. So sind fast alle Orchideen – die oft auf mageren Wiesen zu finden sind – geschützt. Aber man entwickelt relativ schnell ein Gefühl dafür ob einem eine Pflanze so selten begegnet, dass es sich um eine geschützte Art handeln dürfte. Man kann auch schon bald eine Pflanze zumindest der richtigen Familie zuordnen und z. B. sagen, dass es sich um eine Orchideenart handeln dürfte, die alle geschützt sind. In Naturschutzgebieten darf man generell keine Pflanzen oder Tiere sammeln, und auch sonst sollte man immer nur so viel wie unbedingt nötig sammeln.
Bei Tieren kommt es darauf an sie nicht zu verletzten, wenn man sie zum Bestimmen festhalten muss. Wie man dies geschickt macht, sollte in den jeweiligen Schlüsseln erwähnt sein. So ist es bei Heuschrecken am besten, beide Hinterbeine zwischen Daumen und Zeigefinger einzuklemmen. Hält man sie am Körper oder an einem Bein, strampeln Sie so heftig, dass ihnen ein Bein ausreißen wird. Auch Libellen überstehen das Festhalten meist gut, wenn man beide Flügel so festhält. Ansonsten werden oft Ihre Flügel geknickt.
Lerne den Schlüssel kennen
- Auch umfangreiche Schlüssel werden oft von einem einzelnen Autor erstellt oder zumindest überarbeitet. Beim ersten Gebrauch eines neuen Schlüssels ist es oft nötig sich an die Sprache des Autors zu gewöhnen. Sei es die verwendeten Abkürzungen zu verinnerlichen, die den Gebrauch des Schlüssels zunächst etwas erschweren, oder ein Gefühl dafür zu entwickeln, was der Autor meint, wenn er schreibt „etwas länger als breit“ oder „deutlich länger als breit“. Jeder Schlüssel bedarf der Gewöhnung. Man darf sich beim ersten Versuch nicht entmutigen lassen.
- Manche Dinge lernt man nur schwer alleine durch Lesen der Beschreibung. So muss man Hörhaare an Spinnenbeinen einfach einige Male gesehen haben, um sie sicher und leicht von Borsten unterscheiden zu können. Ob Nadeln von Nadelbäumen „stechend spitz“ oder nur „normal“ spitz sind, wird man erst sicher und leicht entscheiden, wenn man sich an einer „stechend spitzen“ Nadel gepiekst hat.
- Neben unterschiedlichen deutschen und lokalen Namen können Pflanzen und Tiere auch unterschiedliche wissenschaftliche Namen haben, weil sich z. B. die Namensgebung – also die Nomenklatur – geändert hat, oder weil nicht ganz sicher ist ob es sich um eine Art oder um eine Unterart handelt. Deshalb wird die verwendete Nomenklatur meist im Schlüssel mit genannt. Wenn Du Deine Bestimmung absichern willst, musst Du daher möglicherweise auch die synonymen Namen kennen. Durch „googlen“ findet man diese heutzutage relativ rasch heraus.
- Bei schwierigen Gruppen erleichtert der Zugriff auf eine Vergleichssammlung die Einarbeitung erheblich. Da man nun weiß, welches Tier oder welche Pflanze man vor sich hat, kann man sich an den Schlüssel des Autors gewöhnen und die Bestimmungsmerkmale sicherer kennenlernen. Auch für wissenschaftliche Arbeit, z. B. in der Insektenkunde, ist eine Vergleichssammlung unbedingt nötig.
- Mit umfangreichen Bestimmungsschlüsseln oder artenreichen Tier- und Pflanzengruppen, muss man längere Zeit arbeiten, um sicher und schnell damit bestimmen zu können. In solchen Fällen ist es sehr hilfreich, wenn man sich erst möglichst viele Exemplare einfach nur anschaut, bevor man mit der Bestimmung beginnt.
Lerne die Bezeichnungen kennen
So wie man wissen muss, was Nase, Mund, Augen und Ohren sind, wenn man ein Gesicht beschreiben will, so muss man die Bezeichnungen für Pflanzenteile oder Körperteile von Tieren kennen, wenn man einen Bestimmungsschlüssel benutzen will. Zwar setzen viele Schlüssel durch reiche Bebilderung nur wenig Wissen voraus bzw. vermitteln dieses gleich mit. Aber wenn man eine halbe Stunde darauf verwendet sich mit geeigneter Literatur oder im Internet mit den wichtigsten Fachbegriffen z. B. für Blattformen vertraut zu machen, arbeitet man sich nachher viel flotter durch die Schlüssel. Und auch beim Ausschlüsseln gilt: Geschwindigkeit macht Spaß.
Widme dich dem Beobachten und Hinsehen
- Schau Dir die gesamte Pflanze genau an, besonders wenn Du nicht an Ort und Stelle bestimmst, sondern die Pflanzen sammelst. Manchmal sind zum Beispiel die Grundblätter deutlich unterschiedlich und müssen mitgesammelt werden.
- Achte darauf ein typisches Exemplar zu sammeln bzw. zu bestimmen. Man lernt rasch, zu entscheiden, ob es sich bei einer Gruppe von Pflanzen um eine Art handelt, auch wenn die Pflanzen am Rande des Wuchsortes nur einen halben Meter hoch werden, während die in der Mitte stehenden eineinhalb Meter hoch sind.
- Stelle sicher, dass Du ein gesundes Individuum vor Dir hast. Von Milben befallene Käfer – oftmals an der Bauchseite des Käfers – oder Pflanzen mit Gallen oder Schädlingsbefall haben oft verkümmerte Merkmale oder Schäden. So kann man die verkümmerten Flügeldecken eines mit Milben befallenen Käfers mit den abgestutzten Flügeldecken eines Kurzflügelkäfers leicht verwechseln.
- Manche Pflanzen sind zweihäusig wie z. B. die Weiden, d. h. es gibt männliche und weibliche Pflanzen, oder sie haben zumindest getrenntgeschlechtliche Blütenstände wie die verschiedenährigen Seggen. Auch bei Tieren unterscheiden sich Männchen und Weibchen oft in Größe, Aussehen und Farbe.
- Schau Dir die Umgebung an, bei Pflanzen beispielsweise insbesondere den Boden darunter. Samen, Blätter, Früchte z. B. vom letzten Jahr, vom Winter, aus der Blütezeit etc., die am Boden liegen, können Dir bei der Bestimmung helfen.
- Achte auf eventuell fehlende Merkmale: so können die Kelchblätter der Blüte oder die Nebenblätter am Grunde des Blattstieles frühzeitig abfallen, weshalb Du auch immer noch knospende Blüten, frische Blätter etc. ansehen solltest. Vergängliche Merkmale jedoch sollten im Schlüssel erwähnt sein.
Späte Gelb-Segge: eine verschiedenährige Segge mit männlichen und weiblichen Blütenständen
- Schau Dir an wie die Pflanzen im Verbund wachsen. Haben sie Ausläufer oder wachsen sie in Horsten? Dies kann für die Bestimmung wichtig sein.
- Berücksichtige bei Deiner Bestimmung die Bodenverhältnisse. Auf sehr armen Böden können die Pflanzen/Blätter deutlich kleiner sein als im Schlüssel angegeben.
- Bedenke die Jahreszeit. Früchte die im Sommer noch grün oder gelb sind können im Herbst noch rot werden.
- Stelle sicher, dass Du eine ausgewachsene Pflanze oder ein erwachsenes Tier vor Dir hast: die Larven von Grashüpfern haben alle noch unvollkommene Flügel, die man mit den verkürzten Flügeln mancher erwachsenen Arten (Sumpfgrashüpfer) verwechseln könnte. Die langsame Vergrößerung der Flügel bei jeder Häutung findet man bei allen Arten mit unvollkommener Verwandlung (Hemimetabole). Zweijährige Pflanzen wie z. B. die Nachtkerze, haben im ersten Wuchsjahr eine deutlich abweichende Wuchsform. Bei Bäumen stellt sich die typische Rinde oft erst bei älteren Pflanzen ein.
Lerne Bestimmen
- Lies den Text sorgfältig. Wenn man nach einiger Zeit meint, man könne die ersten Fragen im Schlaf beantworten, gerät man leicht in einen falschen Zweig des Schlüssels und ist bald verloren und kann mit den Fragen nichts mehr anfangen.
- Kehr um, wenn Dir die Fragen der Schlüssel seltsam vorkommen. Du bist dann wahrscheinlich in einen falschen Zweig des Schlüssels geraten. Dann geht es am schnellsten, wenn man nochmal von vorne anfängt oder zu der Stelle zurückkehrt, an der die Entscheidung der Alternativen ohnehin unsicher war. Die Wikischlüssel zeigen im Modus „Interaktive Bestimmung“ den kompletten Entscheidungsweg an und erlauben zu einer beliebige Stelle im Bestimmungsweg zurückzukehren.
- Wenn es möglich ist, lege eine Vergleichssammlung an. Dies ist bei Pflanzen relativ problemlos. Bei Tieren ist dies wegen des Naturschutzes oft schwierig.
- Gewöhne dich an den Schlüsseltyp. Die meisten der hier eingestellten Schlüssel sind dichotom aufgebaut und die Alternativen erscheinen immer direkt untereinander. Aber es gibt auch Schlüsseltypen mit mehr Alternativen oder ganz anderer Struktur. Jeder Typ erfordert etwas Einarbeitungszeit.
- Bedenke zuletzt: die Art, die Du vor Dir hast, kann in Deinem Schlüssel fehlen oder Dein Schlüssel kann sogar Fehler enthalten. Beiß dich daher – vor allem als Anfänger – nie an einer Art in einem Schlüssel fest. Versuche einen anderen Schlüssel oder eine andere Art. Irgendwann wird es Dir wie Schuppen von den Augen fallen, warum Du mit der für dich nicht zu bestimmenden Art gescheitert bist.
Gewinne Erfahrung und Routine beim Bestimmen. Das ist das Wichtigste und dann macht das Bestimmen auch Freude.