Aal (Johann Wilhelm Ludwig Gleim)
Aal. Man ſollte meinen du wäreſt eine Schlange; allein du biſt etwas Beſſeres, du biſt ein Fiſch, der ſich in Flüſſen häufig findet und oft 8 bis 10 Pfund ſchwer wird. Dein Fleiſch wird als Speiſe ſehr geſchätzt. Auch ſagt man dir nach, daß du dich gar nicht leicht tödten laſſeft. Sogar mit dem abgeſchnittenen Kopfe, wer ſollte es glauben, könneſt du noch beißen, und ohne Kopf noch lange im Waſſer herum ſchwimmen. — Von dir und von einer Schlange habe ich Folgendes erzählen hören:
„Betrachte mich einmal,
Sprach eine Schlange zu dem Aal,
Bin ich nicht wunderſchön?
Iſt jemals eine Haut ſo ſchön bemalt zu ſeh’n?
Zwar dein’ iſt glatt; doch mein’ iſt glatt und ſchön“.
„So“, fragt’ der Aal, „bin ich nicht ſchön, wie du? —
Bin ich nur glatt? Wie geht’s denn zu,
Frau Nachbarin,
Daß ich ſo wohl gelitten bin,
Da jedermann vor deiner Schönheit graut,
Und wenn er deine bunte Haut
Im Graſe ſieht,
Erſchrickt und flieht?“ —
Die wunderſchöne Schlange ſpricht:
„Man flieht? Warum? das weiß ich nicht!“ —
„Ich aber weiß es,“ ſagt der Aal,
„Auch wiſſen es die Menſchen alle!
Auswendig gleißeſt du,
Inwendig biſt du Gift und Galle!“
Aal, Schlange, Haut, Gift, schön, Kinderlexikon